Leseprobe: Blechschmidt, Mein Weihnachtsbuch
Wie der Moosmann zu den Menschen kam
Moosmann und Moosfrau wohnen weit draußen im Wald, so weit
draußen, daß der Förster und die Holzmacher nur
selten hinkommen. Dort, wo keines Menschen Laut die Ruhe stört,
wo man der Gräser Lispeln und der Mücken Surren vernimmt,
die Baumkronen dicht an dicht stehen, dort breitet sich wie ein
Teppich knöchelhohes Moos über den Boden. Rehe, Hasen
und Eichhörnchen leben in Eintracht und sind der Moosleute
Freunde.
Sie allesamt hätten eitel gutes Leben, wäre nicht der
wilde Jäger gewesen. Wenn der mit seiner Meute durch den
Wald jagt, verneigen sich vor Furcht die Wipfel, oft so sehr,
daß die Stämme knacken, splittern und brechend niederstürzen.
Ziehen erst die Nebelschwaden durch den Wald, dann hat die wilde
Schar ihre große Lust und treibt es noch toller. Alles Wild
läuft davon und die Moosleute verkriechen sich in ihre Höhlen
unter Steinen oder zwischen Wurzelbeinen dicker Bäume.
Die Holzmacher wissen es seit alter Zeit, einer sagte es dem anderen
weiter: Schlagen sie mit der Axt drei Kreuze in den Wurzelstock
oder in den gefällten Baum, dann ist der wilde Jäger
machtlos, und die Moosleute sind vor ihm sicher. Es ist schon
so: Wären die Holzmacher nicht, wären die Moosleute
längst ausgestorben. Aber auch in den Wohnungen der Menschen
wissen sich die Moosleute vor dem wilden Jäger und seiner
Meute geborgen.
So widerfuhr es einstens der alten Selma: Sie hatte sich beim
Reisigholen weit hinaus in den Wald gewagt. Da hob ein großer
Wind an und der wilde Jäger brauste heran. Geschwind suchte
sie allerlei Holz zusammen um sich auf den Heimweg zu machen.
Von ihr unbeachtet, hatte sich ein Moosmann unter das Leseholz
geflüchtet, ließ sich mit ihm zusammenraffen, in den
Korb stopfen und ins Dorf tragen. Daheim angekommen, sprang er
freudig heraus, freilich zum Schrecken der alten Selma, kroch
in das zum Trocknen auf dem Boden gebreitete Reisig und wollte
nicht mehr in den Wald. Bald hatte er sich mit dem buntgefleckten
Hauskater angefreundet und tollte mit ihm auf der Leiter und im
Gebälk.
Die alte Selma war eine gute Frau. Kam der Abend, und der Kater
schlich auf die Felder zur Mäusejagd, dann holte sie den
Moosmann vom Oberboden ihres Hauses, strich sein Mooskleidchen
glatt, stellte ihn ans Fenster, dort war es warm, und ließ
ihn hinaussehen in die Nacht. Stocksteif stand er dann, rührte
keine Wimper, daß man meinen konnte, er sei gar kein richtiger
Moosmann. Der aber machte sich seine Gedanken über jene,
die draußen vorübergingen, sah alles, hörte alles
und schwieg darüber wie ein Grab.
Als dies die Nachbarn gewahrten, wollten sie auch so einen kleinen
Fenstersteher. Und weil keiner wußte, wie man zu ihm kam,
schärfte ein Schnitzer seine Messer und Eisen, holte ein
Stück Lindenholz aus dem Stapel und begann einen zu schnitzen.
Der aber sollte dem richtigen Moosmann recht ähnlich sein,
deshalb suchte er schönes frisches Moos im Wald und beklebte
damit seinen Körper. Nun sah er dem richtigen Moosmann zum
Verwechseln ähnlich. Das ließ andere Nachbarn nicht
ruhen. Auch sie wollten einen solchen kleinen Mann haben, den
man auf den Tisch oder auf die Bank an das Fenster stellen konnte,
am Ende gar mit einem Licht in der Hand. Immer wieder neue mußte
der Schnitzer schnitzen. So wuchs ein ganzes Völkchen großer
und kleiner, dicker und dünner Moosmänner heran.
Wer es sehen will, der muß sich in der Weihnachtszeit aufmachen
und durch die vogtländischen Dörfer und Städte
wandern. Tausendmal wird ihm ein Moosmann stumm aus dem Fenster
grüßen. Ob es jener ist, den die alte Selma mit dem
Leseholz ins Haus gebracht hatte, weiß niemand, die alte
Frau ist längst gestorben. So steht einer so steif hinter
der Scheibe wie der andere, und Verschwiegenheit ist nun einmal
der Moosmänner Art.